KZ-Überlebende Erna de Vries erzählt Schüler/Innen der Schule am Schloss von ihren Erlebnissen als Erinnerungsarbeit für das Bewusstsein für das Vergangene
„Du wirst überleben, und dann wirst du erzählen, was mit uns geschehen ist“, so lautete der Auftrag, den Erna de Vries bei der Trennung von ihrer Mutter im Konzentrationslager Ausschwitz-Birkenau erhalten hatte. Selbst im Alter von 89 Jahren folgt sie dieser Aufforderung schon seit über 20 Jahren und war daher auf Einladung der Religionslehrerin Angela Eilermann kürzlich wieder in Sögel. Diesen Besuch sieht die Schule als wichtigen Beitrag, um den Schülern der 8., 9. und 10. Klassen für das Thema Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu sensibilisieren und um sie zu warnen, dass in Zukunft nicht wieder ähnliche Gräuel geschehen. Fächerübergreifend hatten sich die Schüler/Innen im Geschichts-, und Religionsunterricht intensiv mit dem Thema „Nationalsozialismus“ auseinandergesetzt und lauschten nun aufmerksam und tief bewegt den Worten der Zeitzeugin Erna de Vries.
Erna de Vries, die 1923 in Kaiserslautern geboren wurde und heute in Lathen als Ehrenbürgerin wohnt, begann ihre Schilderung damit, dass ihr Vater Protestant war und ihre Mutter Jüdin. Kurz nach Hitlers Machtergreifung begannen die Anfeindungen gegen jüdische Bürger, und es kamen immer wieder neue Gesetze, die ihnen das Leben zur Hölle machten. Eine erdrückende Stille herrschte in der Aula des Hümmling-Gymnasiums, und die Schüler lauschten mit betroffenen Gesichtern den weiteren Schilderungen von Erna den Vries. Sie berichtete, wie sie freiwillig mit ihrer Mutter auf den Transport nach Ausschwitz-Birkenau gegangen ist, wie ihr die Nummer in den Arm eintätowiert wurde und wie sie unter schrecklichen, menschenunwürdigen Bedingungen dort arbeiten und leben mussten. Vom Tod ihrer Mutter, die ihr beim Abschied noch den obigen Auftrag mitgegeben hatte.
Dabei erhielt Erna den obigen Auftrag.
Dann erzählte sie detailliert und eindringlich von dem Tag, als sie mit vielen anderen Frauen, die arbeitsunfähig geworden waren, in den Todesblock 25 zur Vergasung getrieben wurde. Die damals 19jährige Erna de Vries hatte noch einen Wunsch, bevor sie sterben sollte. „Ich möchte noch einmal die Sonne sehen“, hatte sie gebetet. Und als sie die ersten Sonnenstrahlen erblickte, wurde ihre Nummer aufgerufen. Ein NS Mann sagte zu ihr: “Du hast aber Glück. Du darfst leben“, und so kam sie als so genannter „jüdischer Mischling“ ins KZ nach Ravensbrück und wurde der Zwangsarbeit unterwiesen. Nach Räumung des KZ in Ravensburg im April 1945 wurde sie mit den anderen Insassen in den Todesmarsch in Richtung Nordwesten getrieben.
Als sie völlig erschöpft und am Ende ihrer Kräfte nicht mehr weitergehen konnte und wollte, wurde ihr Treck von alliierten Soldaten befreit. So hatte Erna de Vries die Gräuel von Ausschwitz und Ravensbrück überlebt und war endlich frei!
Mit drei Freundinnen hielt Erna sich durch Betteln über Wasser und lebte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Köln, wo sie Josef de Vries kennenlernte und 1947 heiratete. Mit ihm hat sie drei Kinder. Ihr Mann war Jude und auch Jahre lang in einem Konzentrationslager gewesen. Mit ihm ging sie in seinen Heimatort Lathen, wo sie heute als Ehrenbürgerin lebt.
Die Schüler waren so sehr bewegt, dass sie einige Zeit benötigten, um das Gehörte zu verarbeiten. Erst dann waren sie in der Lage, offene Fragen an Frau de Vries zu richten:
„Haben sie noch heute Hass auf die Deutschen?“ Erna de Vries antwortete geduldig: “Ich habe nie Hass empfunden, was mir dabei geholfen hat, das alles zu verarbeiten. Ich habe auch in der schrecklichen Zeit viele gute Menschen an meiner Seite gehabt, die mir geholfen haben, darunter war auch eine gute Nachbarin, die mit Lebensmitteln ausgeholfen und sich dadurch selbst in Gefahr gebracht hat. Ich erlebte immer wieder kleine Gesten des gegenseitigen Helfens und Mutmachens. Weil es diese guten Menschen gegeben hat, kann ich heute noch die Sonne sehen“.
Eine weitere Frage lautete: „Was haben Sie empfunden, als sie gehört haben, dass Ihre Mutter tot ist?“ „Ich habe nur gedacht, jetzt kann ihr niemand mehr was tun“, antwortete Erna de Vries. Ein anderer Schüler fragte: „Was empfinden Sie, wenn Sie heute das Wort Konzentrationslager hören?“ „Mit Konzentrationslager verbinde ich Hunger, Kälte, schwere Arbeit, mangelnde Hygieneverhältnisse, Ungeziefer, Tote, Schreien, Brüllen und Schlagen“, war die Antwort. Weiter wurde gefragt: Nach der Fragerunde bedankte sich Schulleiterin Maria Lau bei Erna de Vries für den sehr informativen und bewegten Vortrag und dafür, dass sie sich so geduldig den vielen Fragen der Schülerinnen und Schüler gestellt hatte. „Dadurch haben unsere Schüler noch tiefere Einblicke in Ihr grauenvolles Schicksal bekommen. Gerade in der heutigen Zeit ist es sehr wichtig, jungen Menschen Geschichte begreiflich zu machen, wobei persönliche Schilderungen intensiver wirken. Mit Ihren Vortrag haben Sie wieder ein Stück Erinnerungsarbeit für das Bewusstsein für das Vergangene geleistet“, fügte Frau Lau hinzu und überreichte ihr noch eine „Geldspende“ für ein Baum-Aufforstungsprojekt in Israel.
Text: Frau Arling