In Sögel existiert jetzt mit der Verlegung von vier weiteren Stolpersteinen für deportierte Angehörige der Familie Jacobs ein erneuter Ort der Erinnerung.
Im Beisein von Bürgermeisterin Irmgard Welling marschierten Schüler der Schule am Schloss mit ihrer Lehrerin Rebekka Esch schweigend zu dem Grundstück an der Amtsstrasse 11, wo einst das Wohnhaus der Familie Jacobs stand und dort nun ein Parkplatz ist. Die Schüler hielten Blumen in den Händen, vier von ihnen die Stolpersteine. Mit ernsten Blicken und belegten Stimmen traten sie ans Mikrophon und verlasen die eingravierten Lebensdaten der deportierten Juden: Hier wohnte Emma Jacobs, geborene Meyer, (Jg.1873), deportiert 1941 nach Riga und ermordet; Sohn Simon Jacobs (Jg. 1895), deportiert 1941 nach Riga, 1944 nach Sutthoff und 1945 in Buchenwald ermordet; seine Ehefrau Rosette Jacobs (Jg. 1903), deportiert 1941 nach Riga und ermordet, und deren zehnjährige Tochter Emmi Jacobs (Jg. 1931), deportiert 1941 nach Riga und ermordet. Während die Schüler ganz bedächtig und nacheinander die Gedenksteine an Martin Kosse weiterreichten, sagte Welling: „Hinter den Namen stehen Schicksale, Menschen mit ihrem Lebensweg, ihrer Liebe, ihrer Hoffnung und ihrem Leid“.Es war einwürdevoller und emotionaler Moment, als Kosse diese dann sorgfältig in die Löcher des ausgestemmten Gehwegpflasters einbetonierte. Nach einer Schweigeminute legten die Jugendlichen und Lehrerin Rebekka Esch ihre mitgebrachten Blumen an den glänzenden, bronzefarbenen Tafeln ab.
„Um unsere Zukunft menschenwürdig zu gestalten, brauchen wir die Erinnerung. Es wurde zu lange geschwiegen“, sagte Welling bei ihrer nun letzten Stolpersteinverlegung in ihrer Amtszeit als Bürgermeisterin. Sie hielt noch einmal Rückschau auf zehn Jahre Stolpersteinverlegung in Sögel. Viele emotionale Begegnungen und einen umfangreichen Brief-und Email-Verkehr habe es ihren Worten nach mit den Angehörigen der Opfer seit Beginn der Gedenkfeiern gegeben. „Am 9.11.2011 war die erste Stolpersteinverlegung in Sögel und meine erste Amtshandlung als Bürgermeisterin. Ich war zutiefst berührt, dass Angehörige der deportierten Sögeler Juden aus Australien, England und Israel angereist waren, um mitzuerleben, wie ihren ermordeten Vorfahren ein stückweit ihre Würde, ihre Identität, zurückgegeben werden sollte“.
Immer wieder kämen Angehörige der Opfer nach Sögel, so Welling, um sich nach ihren Vorfahren zu erkundigen und um diese Form der Erinnerung zu erleben.
Sie seien ebenfalls an alten Fotos und dem Film „Sie waren unsere Nachbarn“, den Schüler der Bernhardschule Sögel 2008 erstellt hätten und der über das Schicksal der jüdischen Mitbürger berichten würde. John Jacobs aus Großbritannien, ein Angehöriger der Familie Jacobs, habe bei der Gedenkfeier am 09.11.2019 in der vollbesetzten Aula des Hümmling-Gymnasiums über das Schicksal seiner Familie zu den Schülern gesprochen und einen prägenden Eindruck hinterlassen. Inzwischen habe seine Frau Gill ein Buch über ´Die Geschichte der Familie Jacobs´ geschrieben, teilte Welling weiter mit.
„Für das Projekt ´Stolpersteinverlegung in Sögel´ habe ich im Laufe der Zeit zu den Nachfahren der deportierten Juden enge persönliche Beziehungen aufgebaut und erfahren, wie wichtig ihnen diese Stolpersteinverlegungen sind“, sagte Welling und bedankte sich bei den Schülern und Lehrern der Sögeler Schulen für das Interesse am jüdischen Leben und für die großartige Mitgestaltung der Gedenkfeiern. Es sei ihren Worten nach ganz wichtig, die Schüler als künftige Träger der Erinnerungskultur mit einzubeziehen. Ihr Dank galt auch Holger Lemmermann, der ihr für die inzwischen fertig gestellte Dokumentation „Stolpersteine in Sögel“ Bildmaterial über jüdische Familien in Sögel zur Verfügung gestellt hatte. „Das Weiterführen des Projektes und die Präsentation meiner Erfahrungen bedeuten mir sehr viel“, sagte Welling. und erinnerte an den Leitspruch des Kölner Künstlers Gunter Demnig, der das Projekt 1993 ins Leben gerufen hatte und bei fast allen Gedenkfeiern in Sögel dabei gewesen war: „Ein Mensch ist erst dann vergessen, wenn nicht mehr an seinen Namen erinnert wird“. Für die Schüler seien Aktionen wie diese, wie auch die Säuberung der Stolpersteine und des jüdischen Friedhofes, sowie der Besuch der Gedenkstätte in Esterwegen und der Geschichtswerkstatt in Sögel eine besondere Möglichkeit zur aktiven Auseinandersetzung mit der NS-Gewaltherrschaft, betonte Rebekka Esch von der Schule am Schloss.
Text u. Fotos: Gisela Arling